Mittwoch, 10. Juni 2009

Zweites Leben: ist eine geglaubte unsichtbare Realität gültiger als eine virtuelle ?

Eine besonders aufschlussreiche und intensive Erfahrung in "Second Life" (SL): Mein Avatar war mit weiteren Interessierten anwesend bei einer Vortragsveranstaltung mit Dr. Norbert Kebekus vom Erzbischöflichen Seelsorgeamt Freiburg über die virtuelle Kirche St. Georg und das Pilotprojekt "Kirche in virtuellen Welten" der Erzdiözese Freiburg.

Zunächst Beobachtungen zum explorativen Interesse an Lehr-und Lernerfahrungen in Second Life: eine powerpoint-Präsentation in einem virtuellen Hörsaal mit großer Leinwand. Wichtig ist der optimale Abstand dazu, kleine Grafiken sind nur erkennbar, wenn man mitten in der Vorlesung aufsteht und richtig nähertritt - will man natürlich nicht machen. Obwohl der Redner bemerkenswert wenig vom Publikum irritiert war. Akustisch kam sein Vortrag glasklar rüber. Zuschauer konnten sich mit Textchat zu Wort melden, und der Redner griff ihre Voten sofort souverän per Audio auf. Er nutzte selbst den Vorteil des Textchats und stellte eigens angefragte Details auch hinein (z.B. weiterführende links). Nur ein (akustischer ?) Störversuch kam auf, wurde aber vom Co-Veranstalter prompt zur Ordnung gerufen. Man kann sich während des Vortrags ungeniert mit anderen beschäftigen (Instant Messaging) ohne aufzufallen. Allerdings leidet dann die Konzentration, was mich dahin bringt zu vermuten, dass die Vortragsinhalte nicht allzu kompliziert sein dürfen. Die anschliessende Exkursion per teleport zur virtuellen Kirche wurde durch erklärende Worte ihres Erbauers angereichert (wundervolle ottonische biblia pauperum im RL (Real Life)-Vorbild Oberzell auf der Insel Reichenau - sogar die frühen noch unvollkommenen Versuche in 3D-Perspetive werden richtig plastisch sichtbar), eine Besichtigung und Erläuterung eines virtuellen Kreuzweges und eines showrooms mit ergreifenden Fotos zu einem palästinensischen Kinderkrankenhaus (Spendenprojekt der caritas) schlossen sich daran an.
Theologisches Nachdenken: Was ist Kirche ? Meine Fragen nach den realen Vollzügen der sich selbst als Heilsinstitution verstehenden Kirche wurden abschlägig beschieden. Der Projektleiter ist auch in RL kein Priester, kann also keine Sakramente spenden. Es würde s. E. aber auch so in SL nie geschehen / gestattet werden. Da frage ich mich: was unterscheidet die virtuelle Realität von der geglaubten ? Das Wort "pseudo", was in seinen Ausführungen dazu fiel, klingt verräterisch: die reale Realität spielt sich nicht im Second life ab, das ist nicht "echt" dort. Aber wie echt ist die geglaubte Realität der Kirche im RL, die mit dürftigen signa, die als media salutis geglaubt werden (Wasser, Brot, Wein, segnende Hand) die Realität der ecclesia invisibilis - tja, was nun: bezeichnen, virtualisieren, darstellen - soll ? Deutlich machte der Vortragende jedenfalls die kommunikative Stärke, die Kirche einzubringen hat. Andere Veranstalter stellen sich mächtige, aber menschenleere Repräsentanzen in SL auf (Daimler und andere Konzerne), und wundern sich, dass dann nix los ist. Kirche dagegen hat ein nachhaltiges personales Angebot zu machen. Gebete, Gottesdienste, Bibelkreis (mit sechs bis acht Avataren). Die Chance, Menschen in ganz diversen Lebenslagen, die den Ballast einschränkenden RLs endlich loswerden können, durch die Maske des Avatars hindurch unverstellt und echt mit der christlichen Botschaft zu erreichen !

Keine Kommentare: